„Aufzeichnungen zu Kleidern und Städten“

eine Reflexion von Uwe Jesiorkowski

„Man stelle sich vor, man ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts in einem armen Land geboren und der Winter ist kalt. Du brauchst einen warmen Mantel. Der Mantel ist schön, weil dir kalt ist. Ohne ihn kannst du nicht leben. Er wird zu deinem Freund. Darauf bin ich schrecklich eifersüchtig. Könnte man meine Kleidung so tragen, wie glücklich wäre ich dann! Man konsumiert Kleidung nicht nur, man lebt sein Leben damit. Das will ich erreichen.“

Yohji Yamamoto


 1988 beauftragte das Centre Pompidou Wim Wenders, Yohji Yamamoto zu porträtieren. Der in Tokio lebende Modedesigner schockierte und revolutionierte zu Beginn der 1980er Jahre die Modewelt in Paris und New York.

Mode, damit habe ich nichts am Hut.

Wenders‘ meisterhafte Regiearbeit fängt die Essenz von Yamamotos Arbeit und kulturellem Einfluss ein. In einer Mischung aus Interviews, Modeschauen und Aufnahmen städtischer Landschaften entsteht ein eindrucksvolles Bild von Yamamotos kreativem Prozess und seiner künstlerischen Sensibilität, bei dem das Publikum lernt, Yamamotos künstlerische Vision und seine Inspirationsquellen zu verstehen. Von den eleganten Boulevards von Paris bis zu den geschäftigen Straßen Tokyos wird er auf eine visuelle Reise mitgenommen, die sowohl die künstlerische Inspiration des Designers als auch die einzigartige Verbindung zwischen Mode und urbaner Umgebung verdeutlicht. „Perfekte Symmetrie ist hässlich, man spürt nicht  mehr die menschliche Hand, den Schweiß, der die Dinge geschaffen hat.

Ein Mensch kann keine perfekten Dinge schaffen, nur fehlerhafte.

Yohji Yamamoto ist bekannt für seine minimalistischen Designs und seine Vorliebe für avantgardistische Mode. Er sieht sich als Handwerker und Künstler, bevorzugt schwarz als Schlussfolgerung aller Farben, gewissermaßen als Negation aller Bedeutung, als reine Konzentration auf das Wesentliche. Er ist, das haben er und Wenders gemeinsam, ein Bewunderer und Sammler von Fotografien. Unzählige Fotobücher mit Schwarzweißfotografien, die er über Jahre gesammelt hat, inspirieren ihn. So sagt er beispielsweise über Fotos aus dem Projekt „Menschen des 20. Jahrhunderts“ von August Sander: „Menschen sahen ihrem Beruf ähnlich durch die Kleidung. In alten Fotos findet man wirkliche Männer und Frauen.“

Ich will den Frauen helfen

„Männer leben in ihren Wunschvorstellungen, in ihren Denkgebäuden. Frauen leben in der Wirklichkeit.“ Yamamoto hat oft betont, dass er durch seine Kleidung Frauen helfen möchte, sich selbstbewusst und stark zu fühlen. Seine Designs zeichnen sich oft durch eine gewisse Androgynität aus, die Frauen die Möglichkeit gibt, sich jenseits traditioneller Geschlechterrollen auszudrücken. Yamamoto ist genau wie Wenders ein Autor, das ist jemand, der etwas zu sagen hat und das in seiner eigenen Sprache auszudrücken weiß. Der seinen Stil hat, ohne dass dieser Stil ihm zum Gefängnis wird.

Mit diesem Begriff Autorschaft analysiert Wenders für sich die Zukunft der elektronischen Sprache im Kino. Den Unterschied zwischen Film und Video. Die Verantwortbarkeit des filmschaffenden Autors, der seinem Werk den unverwechselbaren Stempel aufdrückt und es damit einzigartig macht, seiner Identität gegenüber der immer wieder kopierbaren Digitalität, die scheinbar kein Original mehr hat und anonym ist, die niemand verantwortet.


Er kommt in seiner Analyse während des Films zu einem interessanten Schluss. Beide Bildsprachen haben ihre Relevanz.
„Meine Filmbilder über Mode waren anmaßende oder hybride Versuche, darüber etwas zu „sagen“. Das Video war dagegen ein angemessener Annäherungsversuch, um bloß etwas „zu zeigen“.
In dieser Beobachtung von Parallelität liegt bereits ein wesentlicher Grund, eine Affinität von Mode und Video zumindest für möglich zu halten. Die Bilder, die Kamera und Video von Yamamotos Arbeit herstellen, lassen Wenders eine größere Angemessenheit des Videobildes feststellen. Das Videobild hat durch seine Formlosigkeit und die daraus resultierende Wirkung des bloßen Aufzeichnens etwas Verantwortungsloses. Yamamoto wiederum weist selbst verschiedentlich darauf hin, dass er seine Arbeit nur als Angebot betrachtet, aber keine Verantwortung für die Menschen, die sie tragen, übernehmen will.

Stellen Identität und Mode ein Gegensatzpaar dar? Identität als das besondere Interesse Wim Wenders’ begründet die erste Verbindung zwischen ihm und Yohji Yamamoto. Vergegenständlicht wird diese Verbindung durch das besondere Interesse beider an Fotografien: An den Fotos aus August Sanders Menschen des 20. Jahrhunderts beispielsweise. Das ehrgeizige Projekt des Fotografen August Sander war es, ein vollständiges und objektives Abbild der Menschen seiner Zeit herzustellen. In seinem Buch finden sich zwischen 1892 und 1954 entstandene Portraitaufnahmen von Menschen aller Gesellschaftsschichten in der für ihren Beruf und ihre Schicht typischen Kleidung.

© Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur – August Sander Archiv, Köln; VG Bild-Kunst, Bonn


 „Meine erste Begegnung mit Yohji Yamamoto war eine Art von Identitätserfahrung“. Die Besonderheit der Kleidung der Marke Yohji Yamamoto besteht für Wenders darin, dass sie ihm das Gefühl gibt, mehr er selbst zu sein. Obwohl sowohl Wim Wenders als auch Yohji Yamamoto die Konsumierbarkeit von Mode und Bildern für identitätszerstörend halten, produzieren sie weiter. Dies rechtfertigt sich dadurch, dass Wenders beide Künstler zu Autoren erklärt, die ihren Produkten Identität geben, statt sie dieser Konsumierbarkeit auszusetzen.
 
Ich selbst ging mit der gleichen Einstellung „Mit Mode habe ich nichts am Hut“ in diesen Film. Die Welt der Mode war für mich Arroganz, dekadenter Luxus, Narzissmus. Aber Yohji Yamamoto hat mich tief beeindruckt und mich für diese Kunst geöffnet. Er hat mir gezeigt, was selten so deutlich gesagt wird. Modemacher sind Künstler und vor allem Autoren, die Werke schaffen. Werke werden konsumiert, aber ihr Wesen liegt nicht in ihrer Konsumierbarkeit, sondern im Können, der Identität und der Authentizität des Künstlers. Man kann aus ihnen lernen.
 
Trailer zum Film