eine Reflexion von Uwe Jesiorkowski
„Ich habe an nichts mehr geglaubt. Ich habe nicht an die Erlösung der Menschheit geglaubt. Ich hatte so viel Brutalität gesehen. Ich habe in nichts mehr vertraut. Ich fühlte einfach, dass wir Menschen schreckliche Tiere sind.“
Sebastiao Salgado über seine Abwendung von der Fotografie
Der Dokumentarfilm „Das Salz der Erde“ ist ein zutiefst bewegendes Meisterwerk des Regisseurs Wim Wenders, unter anderem selbst Fotograf, über die Lebensreise und künstlerische Vision des brasilianischen Fotojournalisten Sebastiao Salgado. Selbst mir, der ich bloß im Kino saß, schossen bei diesen lang eingeblendeten großformatigen und von Salgado selbst erklärten Bildern Tränen in die Augen und es rutschte mir der Boden unter den Füßen weg. Ich wünschte mir eine Auszeit, eine Pause, etwas Positives, um nicht wegzubrechen. Gott sei Dank gab es diese Auflösung, dieses Durchatmen, indem der Film mit Salgados Projekten „Genesis“ und „Amazonia“ abschließt, die von der Schönheit und Faszination der Schöpfung handeln.
Diese Bilder schafft Sebastiao Salgado mit der gleichen Sorgfalt und Intensität, mit dem gleichen Mitgefühl und der Empathie, die ihm auch in der Darstellung des Schreckens zu eigen sind.
Der Film ist eine epische Reise durch menschliche Tragödie und Hoffnung. Co-Regie führte Salgados Sohn Juliano Ribeiro Salgado, der ebenfalls zu Wort kommt. Überwiegend aber führen Wenders und Sebastiao Salgado einen Dialog. Beide kommen zu Wort, beschreiben wechselnd Fotografien. Wenders erzählt, wie es zur Entstehung des Films gekommen ist. Die späteren Projekte werden direkt von der Filmkamera und von Juliano Ribeiro Salgado als Fotografen begleitet. Im Grunde ist der Film ein Meisterwerk über ein Meisterwerk, gestaltet von zwei seelenverwandten einzigartigen Künstlern.
Eindringlich und intensiv lässt der Dokumentarfilm den Zuschauer in die Gräuel des Völkermords in Ruanda, Hungersnot in Äthiopien, Goldrausch in den Minen Brasiliens, Jugoslawienkrieg und später in die gewaltigen Naturreportagen Salgados eintauchen. Der Zuschauer fühlt Salgados Desillusionierung, seine Abwendung von der Fotografie und lässt ihn gegen Ende wie zum Trost daran teilhaben, wie er eine neue, erfüllende Aufgabe findet. Salgado gründet gemeinsam mit seiner Frau Lélia das Instituto Terra, eine Initiative zur Wiederaufforstung und Wiederherstellung der Artenvielfalt im Atlantischen Regenwald Brasiliens, was ihn schließlich auch wieder zur Fotografie zurückfinden lässt.
Ich verehre Salgado schon lange als eine Art „Gott der Sozialreportage“. Bemerkenswert sind seine Stringenz und Konsequenz in der Auswahl und die Umsetzung seiner fotografischen Geschichten. Ebenso bemerkenswert ist seine konsequente Schwarzweiß-Fotografie. Es handelt sich immer um sorgfältig geplante und ebenso sorgfältig umgesetzte Langzeitprojekte. Die Resultate erscheinen in umfassenden Bildbänden.
Workers
Migrations. Humanity in Transition
Kinder der Migration
The End of Polio
Afrika
Genesis
Duft der Träume – Reise in die Welt des Kaffees
Kuwait. Eine Wüste in Flammen
Amazônia
Hier könnt ihr sein Gesamtwerk einsehen
Er nimmt teil an den Gräueln und an dem Leid, über das er erzählt. Er lebt ungeschützt Tage, Wochen, Monate unter den äußeren Lebensumständen seiner Protagonisten mit ihnen zusammen.
Die Projekte Salgados haben eine klare, umfassende Botschaft. Das unterscheidet ihn von vielen anderen Fotografen. Dasselbe gilt für Wim Wenders als Filmemacher. Seine Werke zeugen von Sendungsbewusstsein und dem konkreten Willen zur Veränderung. Tragen frühe Werke weltweit dazu bei, sich bewusst zu machen, was Menschen auf dieser Erde sich selbst und gegenseitig antun, so werben die späteren aktiv für einen sinnvollen Umgang mit der Natur.
„Das Salz der Erde“ ist nicht nur ein Film über die Kunst der Fotografie, sondern auch über die moralische Verantwortung eines jeden Einzelnen, sich gegen Unrecht und Leid zu erheben. Es ist ein aufrüttelndes und zugleich inspirierendes Werk, das dazu aufruft, sich den dunkelsten Kapiteln unserer Geschichte zu stellen und die Lehren daraus zu ziehen. In einer Zeit, in der die Menschheit mit ähnlichen Tragödien konfrontiert ist, ist dieser Film von unschätzbarem Wert und dringend notwendig.
Für die, die sich für den Film und die Autoren interessieren, hier ein paar weiterführende Links: